3 Marktplatz

Die Stationen bezeichnen Orte in Amorbach und Umgebung, die Theodor W. Adorno in seiner Kindheit gerne aufsuchte.

Die Stationen bezeichnen Orte in Amorbach und Umgebung, die Theodor W. Adorno in seiner Kindheit gerne aufsuchte.

Der Marktplatz gilt als das eigentliche Zentrum von Amorbach, mit historischem Rathaus, fürstlichem Palais, Kirche St. Gangolf, sowie zwei ehemaligen Brauereigaststätten. Gleich hinter der Mariensäule findet man das aufwändig renovierte Debonhaus.

„Trieb ich halbwüchsig allein durch das Städtchen im tiefen Abend, so hörte ich auf dem Kopfsteinpflaster die eigenen Schritte nachhallen. Das Geräusch erkannte ich erst wieder, als ich, 1949 aus der amerikanischen Emigration zurückgekehrt, um zwei Uhr durchs nächtliche Paris vom Quai Voltaire in mein Hotel ging. Der Unterschied zwischen Amorbach und Paris ist geringer als der zwischen Paris und New York.“

Theodor W. Adorno, Ohne Leitbild – Parva Aesthetica – AMORBACH, Seite 23

Marktplatz

Wer Adornos Amorbach mit den Füßen liest, kommt um den Marktplatz, das eigentliche Zentrum des Ortes, nicht herum. Vielleicht war es hier oder in einer der auf ihn zulaufenden Gassen, durch die „Teddie“ als jugendlicher Pflastertreter im Sommer, zu vorgerückter Stunde und „allein“ (!), stromerte, ohne Angst zu haben.
Die unwillkürliche Erinnerung daran holt den von den Nazis Vertriebenen wieder ein, als er, nach Jahren des Exils in den USA, im Herbst 1949 Zwischenstation in Paris macht und dort abends sehr spät von der Wohnung des mit ihm befreundeten Komponisten René Leibowitz (1913-1972) am Quai Voltaire in sein Hotel am Boulevard Raspail zurückgeht.
Die Wahrnehmung, in einer Großstadt „das Hallen der eigenen Schritte“ hören zu können, überwältigte ihn – „einen Laut, der wohl in ganz Amerika völlig undenkbar ist.“ (Brief an Alfred Andersch, 29. März 1956; in Adornos Tagebuchnotizen vom 30. Oktober 1949 ist Amorbach jedoch nicht erwähnt).

Zugleich lässt die Episode an Marcel Prousts Roman „Die wiedergefundene Zeit“, den abschließenden siebten Band des Zyklus „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ (1913-1927), denken: darin wird der Erzähler, der nach langer Abwesenheit nach Paris zurückgekehrt ist, beim Treten auf unebene Pflastersteine von einem Erinnerungsschub und angstlustartigen Gefühlen der „Beseligung“, des Glücks, aber auch der „Verwirrung“ und Verstörung durchschauert.

Text: Reinhard Pabst

Zitat aus: Theodor W. Adorno, Ohne Leitbild – Parva Aesthetica – AMORBACH, Seite 23
Portraitfoto: Theodor W. Adorno, © Elisabeth Becker, 1961
Fotos: kurzarchiv, krugarchiv
Video: Anna Tretter, Carolyn Krüger