2 Café Stang

Die Stationen bezeichnen Orte in Amorbach und Umgebung, die Theodor W. Adorno in seiner Kindheit gerne aufsuchte.

Die Stationen bezeichnen Orte in Amorbach und Umgebung, die Theodor W. Adorno in seiner Kindheit gerne aufsuchte.

Adorno 2

Das Amorbacher Café Joseph Stang war ein gerne besuchtes Café mit erlesenen Konditoreiwaren. Der Familienbetrieb war ein allgemein beliebter Treffpunkt und Touristenziel.

Der Familienbetrieb war ein allgemein beliebter Treffpunkt und Touristenziel.


„Was alles in der Gegend, an Leuten und Dingen, aus dem sechzehnten Jahrhundert noch vorhanden war, ließ mich gar nicht zum Gedanken kommen, wie lange es schon zurücklag; räumliche Nähe wurde zur zeitlichen.“
„Wenn der Rentamtmann zu seinem Stammtisch ging, pflegte ihn, sicherlich gegen seinen Willen, seine Frau zu begleiten. Sooft er einen über den Durst trank und für ihren Geschmack allzu lebhaft schwadronierte, ermahnte sie ihn mit den Worten: ‚Siebenlist, beherrsch dich!’“

Theodor W. Adorno, Ohne Leitbild – Parva Aesthetica – AMORBACH, Seite 23
Amorbach Café Stang Postkarte

Früheres Café Stang, Oberes Tor 1

Schon Adornos Mutter Maria und ihre Schwester Agathe ließen es sich, wie später Adornos Frau Gretel, im (nicht mehr existierenden) Café Stang schmecken, das für feine Torten und Lebkuchen bekannt war. Sein Gründer, der Konditor Joseph Stang (1835-1916), stammte aus Dettelbach am Main – just aus jener unterfränkischen Kleinstadt also, in der auch Adornos Urgroßvater Bernhard Wiesengrund (1801-1889) zur Welt kam und 1822 den Grundstein für die gleichnamige Weinhandlung legte.

An den Kaffeehaustischen im „Stang“, mehr noch im zweiten Stammlokal der Familie Wiesengrund-Adorno, der (nicht mehr existierenden) Gastwirtschaft „Brauerei Burkarth“, Marktplatz 4, blühte der Klatsch. Manches davon war Adorno erstaunlicherweise selbst nach Jahrzehnten noch präsent.

Amorbach Signatur Hofgärtner Carl Keusch
Unterschrift Keusch

So wurde etwa getuschelt, der fürstliche Hofgärtner Carl Keusch, der 1924 nach 37jähriger Dienstzeit in den Ruhestand trat, habe angeblich eine seiner Töchter missbraucht – ein Gerücht, für das es bis heute keine Bestätigung gibt. (Allerdings scheint es in Amorbach ein offenes Geheimnis gewesen zu sein, dass Keusch einen unehelichen Sohn hatte.)

Amorbach Herkert als Soldat
„Herkert“ als Soldat

Für eine „Soziologie der Geselligkeit“ (Georg Simmel, 1910) bot das Kleinstadtleben noch in anderer Hinsicht Stoff. Neben dem unterm Pantoffel stehenden Rentamtmann Alois Siebenlist und seiner Gattin ist besonders eine Figur hervorzuheben, die auf Adorno wirkte, als sei sie aus der Zeit gefallen: „ein Mann, halb Bauer, halb Händler, aus Hambrunn, einem jener benachbarten Odenwalddörfer, die man oben auf den abgeflachten Höhen gebaut hat“ und der vormittags um elf in der „Post“ sein Schöppchen trank – „Herkert“ habe er geheißen. Doch so lautete nur der ‚Hausname‘ seines Anwesens. „Bis heute ist der Name Herkertsbauer im Ort und in der Umgebung geblieben“, obwohl die Besitzer des Hofs seit Generationen den Namen Ballweg tragen (briefliche Auskunft von Rudolf Ballweg an Reinhard Pabst, 26. Januar 2003). Die Familie Herkert, der er zuvor angehört hatte, war schon im 19. Jahrhundert nach Amerika ausgewandert.

Text: Reinhard Pabst

Amorbach Conditorei Joseph Stang Historische Postkarte
Conditorei Stang, Historische Postkarte (abbarchiv)

Zitat aus: Theodor W. Adorno, Ohne Leitbild – Parva Aesthetica – AMORBACH, Seite 23
Portraitfoto: Theodor W. Adorno, © Elisabeth Becker, 1961
Fotos: Archiv Ursula Abb
Video: Anna Tretter, Carolyn Krüger
Sammlung Elfriede Kurz, Amorbach: Eigenhändige Unterschrift des Hofgärtners Carl Keusch.
Privatbesitz Rudolf Ballweg, Amorbach-Hambrunn:“Herkert“ als Soldat,
(hinten rechts): Valentin Ballweg (1878-1958) aus Hambrunn, dessen Walnüsse für Adorno „ihren Geschmack […] das Leben hindurch“ behielten.