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Wir gingen, Agathe, meine Mutter und ich,
auf einem Höhenweg von rötlicher Sandsteinfarbe,
wie sie mir von Amorbach vertraut ist.
Aber wir befanden uns an der Westküste Amerikas.Theodor W. Adorno
Von gleißendem Licht überflutet (gleichsam ausgestorben) liegt Amorbach in der Mittagshitze. Die lange, kurvenreiche Autofahrt durch den badischen, hessischen und bayerischen Odenwald hat die Studierenden ermüdet. Malwidas lange Beine ragen aus den kurzen Beinen ihres Rompers heraus. Spontane Vereinbarung, jetzt noch nicht aussteigen zu wollen. Und also lässt Walter seine rechte Hand auf Malwidas linkem Oberschenkel ruhen und bewundert stumm die vornehme Blässe ihrer Haut, das in Rot- und Blautönen pastellene Farbenspiel der auf beunruhigende Weise durchscheinenden Adern. Kurzum: das ätherische Wesen seiner Freundin. (Eigentlich, wenngleich nicht hier, aber bestimmt woanders, ist Malwida eine Fee.)
Walter hat nun den Sicherheitsgurt gelöst und seinen ungebändigten Lockenkopf auf die nackte, vergleichsweise kantige Schulter seiner Gefährtin gelegt. Malwida dagegen aufrecht in ihrem Sitz und noch immer angeschnallt, das penibel aufgetragene Make-up in dem vor ihr vom Himmel geklappten Schminkspiegel überprüfend, es in sehr flinken, routinierten Zügen nachbessernd.
Kurzer Wortwechsel darüber, was der Unterschied zwischen einem Romper und einem Jumpsuit sei. Ein Jumpsuit habe nicht unbedingt kurze Hosenbeine, meint Malwida. Jumpsuit sei quasi der Überbegriff. Ließe sich vielleicht auch die deutsche Vokabel Strampler zur Anwendung bringen? Auf keinen Fall, sagt Malwida, Strampler haben Füße. Und es gebe wohl auch kaum welche für Erwachsene. Schließlich steigen die beiden aus. Drückende Wärme war ins Innere des Fonds gedrungen.
Malwida und Walter wollen zunächst einmal das Feriendomizil der Familie Adorno fotografieren. #adornobach
Trieb ich halbwüchsig allein durch das Städtchen im tiefen Abend, so hörte ich auf dem Kopfsteinpflaster die eigenen Schritte nachhallen. Das Geräusch erkannte ich erst wieder, als ich, 1949 aus der amerikanischen Emigration zurückgekehrt, um zwei Uhr nachts durchs nächtliche Paris vom Quai Voltaire in mein Hotel ging. Der Unterschied zwischen Amorbach und Paris ist geringer als der zwischen Paris und New York. Jene Amorbacher Dämmerung jedoch, die ich als kleines Kind von einer Bank auf der halben Höhe des Wolkmann zu sehen glaubte, wie gleichzeitig in allen Häusern das soeben eingeführte elektrische Licht aufblitzte, nahm jeden Schock vorweg, der nachmals dem Vertriebenen in Amerika widerfuhr. So gut hatte mein Städtchen mich behütet, daß es mich noch auf das ihm gänzlich Entgegengesetzte vorbereitete.
Malwida: Sitzt Thomas denn nun eigentlich endlich mal an seinem Paris-Roman, mit dem er uns seit Jahren in den Ohren liegt? Du weißt schon: das illuminierte Paris als die vorderste Quelle unserer Pop-Moderne, Charles Baudelaire (seine Ode An eine Vorüberschreitende, sein Loblied auf die Schminke), die hehre, ja heilige Künstlichkeit, GEMACHTHEIT, logisch die urban zelebrierte Anonymität, nicht zuletzt durch den aus den USA zugereisten Edgar Allan Poe (Der Mann in der Menge), des Deutschen Walter Benjamins produktive Lektüre, vor Ort, der flaneuristischen Elaborate Baudelaires, dessen Lyrik er schon in Berlin übersetzt gehabt hatte (noch mal Jahrzehnte zuvor gab es bereits die Baudelaire-Exegese des späten Friedrich Nietzsche, ebenfalls extrem aufgeregt und hochinteressant, womöglich schon verschattet, im Ansatz umnachtet; erleuchtet, meint Thomas), schließlich: Benjamins gigantisches, fragmentarisch gebliebenes, epochales PASSAGEN-WERK, vor seiner suizidalen Flucht aus dem fatal von den Deutschen eingenommenen Frankreich in die treuen Hände seines Pariser Freundes Georges Bataille gelegt, der die wertvollen 36 Konvolute nach Kriegsenge an Adorno weiter gab.
Walter kann Malwidas Frage nicht beantworten.
Nach zehn Minuten haben beide zahlreiche Fotografien von der spätklassizistischen Fassade des in Restaurierung befindlichen HOTELS ZUR POST gemacht, auch von dem Aspekte bürgerlicher Geselligkeit von 1923 wiedergebenden Fresko des Malers Oskar Martin, zwischen dem ersten und zweiten Obergeschoß, Malwida mit ihrem südkoreanischen champagne cellphone, Walter (der ein simpleres, finnisches Telefon besitzt), mit seiner stets bei sich geführten, in metallischem Pink-Ton gehaltenen japanischen Taschenkamera.
Das Fürstenhaus hat sich unlängst zur umfassenden Renovierung des Gasthauses entschlossen. MAIN-ECHO am 5. April 2017: Andreas Fürst zu Leiningen sehe die Investition als seine Mitverantwortung für die Stadt, erklärt Dirk Herrmann, in der Fürstlich-Leiningenschen Verwaltung verantwortlich für das Immobilienmanagement. Er hat sich zur Projektentwicklung entschlossen, weil er etwas tun will. Wir sind überzeugt: Amorbach braucht ein Stadthotel. Das Fürstenhaus will dieses nach der Fertigstellung auch selbst betreiben. Wie das genau aussehen wird, können wir derzeit noch nicht genau sagen, meint Herrmann. Die Marketingstrategie werde parallel zu den Bauarbeiten entwickelt.
Neugierig wischt Malwida, die sich mit Walter auf der Schwelle des Anwesens niedergelassen hat, auf dem Display ihres Zellentelefons herum. 2015 hat das Fürstenhaus den Gebäudekomplex von einem Vorbesitzer erworben. Im selben Jahr kaufte die Adelsfamilie zu Leiningen der örtlichen Sparkasse auch den gegenüberliegenden Badischen Hof (in dessen Gemächern Max Planck Quartier zu beziehen pflegte) ab. Dieses Anwesen könnte als Erweiterungsmöglichkeit dienen, wenn der Betrieb im Hotel zur Post erneut angelaufen ist.
Ein Spaziergang durch die wie verlassen daliegende Innenstadt.
Die Doppeltürme der Abtei. Der rote Sandstein. Diverse Schaufensterauslagen (Ladenhüter). Oskar Sattlers Elfenbeinschnitzerei. Das Käsehaus Berberich. Das Café Bilz (möglicherweise, mutmaßen Walter und Malwida, einst das von der Familie Adornos frequentierte Conditorei-Café Jos. Stang). Zwei Tassen Cappuccino und ein Stück Torte in dem äußerst schmalen, durch mittelalterliche Hauswände verschatteten Innenhof.
Die Wolfram-von-Eschenbach-Grundschule. Die Parzival-Mittelschule. Das Karl-Ernst-Gymnasium.
Malwida überlegt, wie es wäre, hier nach dem Studium Referendarin zu werden. Das Gymnasium (zum Glück, nach kurzem Schock) doch nicht auf den im Ruch der Homosexualität stehenden, der Reichstagsbrandstiftung bezichtigten, 1934 von der SS exekutierten SA-Mann Karl Ernst getauft, der unter der Oberfläche von Walters Telefon als erster auftauchte und nicht nur Sohn eines Leibwächters Friedrich Flicks war, der fatalen Röhm-Clique angehörte, wo er den Spitznamen Frau von Röhrbein trug (Nazis in Reizwäsche, bekannter Topos, merkt Malwida an, siehe auch Helmut Berger, bestrapst in Viscontis trilogia tedesca), sondern 1904 nach Ernst Leopold Victor Carl August Joseph Emich, dem vierten Fürsten von Leiningen benannt, dem zugleich ersten Präsidenten des Vereins zum Schutz deutscher Einwanderer in Texas und auch noch Halbbruder Königin Victorias von England, der es 1863 abgelehnt hatte, als König von Griechenland eingesetzt zu werden.
(…) Der Vormarsch der Alliierten an der Westfront machte sich auch bald in Mudau bemerkbar. Immer mehr deutsche Soldaten kamen auf ihrem Marsch von West nach Ost durch Mudau. Köhler berichtete, daß seit dem Palmsonntag nun zu den Kriegsopfern die Angehörigen der aufgelösten Etappenstationen, der Organisation Todt, des männlichen und weiblichen Arbeitsdienstes, teilweise unter Mitführung geschminkter Französinnen, die Straßen noch mehr füllten. (…)
Thomas kann sich hier Szenen wie bei Louis Ferdinand Céline ausmalen, der vom Juni 1944 bis zum März 1945 im unfreiwilligen Exil mit der von den Nazis im Rückzug aus dem besetzten Frankreich evakuierten, heim ins Reich geholten Vichy-Regierung im gigantischen Hohenzollern-Schloss Sigmaringen lebte. Resultat: drei irre, apokalyptische Romane, welche des Verfassers Zeit in Deutschland bis zu seiner Flucht nach Skandinavien nachzeichnen. Norden. Von einem Schloss zum anderen. Rigodon.
Céline starb am 1. Juli 1961, genau jenem Tag, an dem er das Manuskript des letzten Teiles dieser umstrittenen Trilogie abgeschlossen hatte, in Meudon. Die Kontinuität Nazi-Deutschlands sollte dagegen über 1968 und 1989 hinaus andauern.
War Mudau nicht bereits in Tomboy zum Thema geworden? (Zumindest von Protagonistinnen im Vorbeifahren touchiert worden?) Hatte in dieser Gegend nicht Heiner der Drogenhändler gelebt?
Einem geschleiften Weiler nördlich von Mudau namens Neubrunn hatte der Fürst von Leiningen nach einem seiner Söhne den Namen Ernsttal verliehen: die Bezeichnung für eine Landschaft (ein fürstliches Jagdgebiet).
(…) Die militärischen Auflösungserscheinungen äußerten sich auch in der Plünderung eines Depots in Ernsttal. Dort hatte die SS seit Monaten ein gewaltiges Lager von Lebensmitteln jeder Art und als besondere Attraktion Hunderttausende von Flaschen feinster französischer Liköre und Cognacs sowie Champagner angesammelt. Früher der SS für wüsteste Zechereien dienend, lockte es nun durchziehende Soldaten an. Köhler berichtet, daß unzählige Kisten der wertvollen Getränke auf hochbeladenen Wagen abtransportiert wurden. Manche bezahlten jedoch mit ihrem Leben. So wird berichtet, daß der Pfarrer von Schloßau am darauffolgenden Tag (Karfreitag) zwölf Soldaten zu beerdigen hatte, die im benebelten Zustand mit ihren Gewehren gegen die amerikanischen Panzer angerannt sind und niedergemäht wurden. (…)
Eduardsthal: ebenfalls eine zur Gewinnung geschlossener weiträumiger Jagdgebiete gewaltsam aufgelöste Siedlung von Waldbauern, auf den Leininger-Sohn Eduard umgetauft. Die enteigneten Waldbauern reformierten sich daraufhin zu Räuberbanden. (Märchenfiguren.)
Ernsttal befindet sich südwestlich von Amorbach. Von diesem Dorf ist es zu Fuß nicht weit zum Schloss Waldleiningen, das etwas weiter westlich liegt.
Das Schloss stellten sich die Amorbacher Fürsten von und zu Leiningen Anfang des 19. Jahrhunderts malerisch auf eine Lichtung im Buchenwald. Dort steht es, freut jeden, der vorbeikommt, und beherbergt ein Sanatorium. Sein Baustil ist eine Imitation englischer Gotik, denn die Leininger sind mit dem britischen Königshaus verwandt.
Damit noch nicht genug: Im Wald zwischen Ernsttal und Amorbach liegt eine romantische Ruine, die Wildenburg. Hier lebte für längere Zeit, um das Jahr 1200, Wolfram von Eschenbach als Gast der Edelherren von Dürn. Durchaus möglich, sagen die Leute, dass er hier den PARZIVAL schrieb.
1846 wanderten 39 ausreichend vermögende Ferdinandsdörfer über den TEXASVEREIN DER FÜRSTEN aus und fanden dort vermutlich den Tod.
Thomas öffnet den Schuber seiner Materialien über den Verein zum Schutz deutscher Einwanderer in Texas, auch Mainzer Adelsverein respektive Darmstädter Gesellschaft genannt.
Die Ansiedlung der Darmstädter Gesellschaft, BETTINA, schreitet rüstig vor, bereits sind Fencen, Häuser etc. errichtet und Felder gepflügt. Ebenso ist in Castell 2 Meilen oberhalb letzterer Niederlassung am Llano ein tüchtiger Anfang gemacht worden, indem die dort befindlichen 30 Familien gleichfalls wie die Darmstädter Gesellschaft gemeinschaftlich arbeiten. Zwei andere Settlements, Leiningen und Schönburg, sind bereits vorbereitet, ich war mit Herrn von Coll auf den für diese beiden Colonien zu erwählenden Plätzen, die stromabwärts der Llano unterhalb der Bettina-Settlements in einer Entfernung von 2 englischen Meilen angelegt werden, sonach ist der Anfang mit endlicher Austheilung gemacht und kann nun jeder Colonist sein Quantum in Besitz nehmen, wenn er will.
Die utopische Kommune Bettina war feierlich nach der Dichterin Bettina von Arnim benannt worden.
In seinem letzten Roman (SELBST, 2016) hatte Thomas notiert: Bettina wurde Ende September 1847 auf der Nordseite des als kristallklar beschriebenen Llano-Flusses nahe der Mündung des Elm Creek unter einer großen Eiche angelegt. (Belasteter Topos: Die Eichen der Deutschen. Venus fällt sofort die GOETHE-EICHE auf dem Gelände des Konzentrationslagers Buchenwald ein, unter der Goethe so gern gerastet hatte.) Aus Ästen und Zweigen wurde die grasgedeckte Versammlungshalle errichtet. Erste landwirtschaftliche Maßnahme: Ein Maisfeld mit 200 bushels of corn, das angeblich nicht ausreichte, um die Kommunarden zu ernähren. Entscheidungen über die Art und Größenordnung anderer Anpflanzungen sowie über die Möglichkeit der Tierzucht hätten gefällt werden müssen, wurden aber durch grundlegende philosophische Debatten hinausgeschoben.
Dann: James geht das ausgetrocknete Bett des Elm Creek voran, deutet rechter und linker Hand auf Anhöhen (Bluffs), auf denen die wenigen Gebäude Bettinas gelegen haben könnten. James (real, nämlich James C. Kearney) und Venus (Thomas’ Romanfigur) klettern über ausgewaschene Felsbänke und stehen plötzlich an der Mündung zum Llano River, der trotz anhaltender Dürre eine Menge Wasser führt. Den Rückweg treten die beiden oberhalb des Flussbetts an und müssen sich mehrfach zwischen Stacheldrahtzäunen hindurchzwängen. Dann zeigt James Venus (die hier gleichsam ein Stand-in für Thomas ist, der diese Recherchen über Jahre hinweg vor Ort anstellte), kaum eine Meile weiter, das einzige erhaltene Steinhaus der benachbarten Siedlung: Die Schule von Leiningen, Texas.
Joseph von Boos-Waldeck reiste 1842 gemeinsam mit Viktor von Leiningen nach Texas, um die dortigen Konditionen für eine deutsche Kolonisierung zu erkunden. Man wollte den auswanderungswilligen Deutschen in der Fremde eine neue Heimat schaffen, wo sie als Deutsche unter Deutschen sein konnten. In die Geschichte sollten sie aber als diejenigen eingehen, die einen haltbaren Friedensvertrag mit der gefürchteten Komantschen-Nation schlossen, mit der sie sich dann auch die Jagdgründe in den Prärien des Hill Country teilten, und später, vor und während des Sezessionskriegs, partisanisch gegen die Versklavung der Afroamerikaner im manchesterkapitalistischen Süden agitierten. (Signifikantes Motiv in Thomas’ erstem sowie siebentem Roman.)
Texas hatte sich zunächst als junge unabhängige Republik sowie als Pufferstaat zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und Mexiko angeboten. Christian von Leiningen hatte sich wohl auch mit Alexander von Humboldt über Texas (anzunehmen ist, vornehmlich über dessen Flora und Fauna) unterhalten. Die Option einer lokalen politischen Einflussnahme spielte ebenfalls eine erhebliche Rolle, wobei der Adelsverein, ironischerweise, sagt Thomas, eine beträchtliche Anzahl vom Typus des migrantischen Lumpenproletariers abweichender Siedler, junge Akademiker, intellektuelle Idealisten, Radikale, Revolutionäre des Vormärz, wenn auch (womöglich ganz und gar unironisch) in den Jahren kurz vor 1848, über den Atlantischen Ozean nach Texas verfrachtete.
Thomas, an seinem Roman, über dem bibliophilen, in nachtblaues Leinen gebundenen Sonderdruck von DER SCHATZ DES INDIANER-JOE, geschrieben im November 1932 bis zum August 1933, gedruckt zum 6. August 1979, Adornos zehntem Todestag, in einer einmaligen Ausgabe von 1000 Exemplaren. Copyright für den Text: © Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1979. Copyright der Kompositionen: © Dr. Gretel Adorno 1979.
Am 29. Januar 1934 schrieb Walter Benjamin (aus Paris) an Adorno (noch in Berlin): Es gibt Umstände, unter denen die Schwierigkeiten und die Gefährdung, welche eine längere Trennung mit sich bringt, ihr ganzes Gewicht bekommen. Solche sind es, welche sich an den SCHATZ DES INDIANER-JOE für mich gebildet haben. Es ist in dem Verhältnis, in dem wir seit Jahren stehen, selten geworden, daß dem einen eine größere Arbeit des anderen unvermittelt und vollendet entgegentritt. Ich habe mir beim Lesen dieses Stücks hin und wieder gewünscht, wir hätten über den Plan eingehend mit einander sprechen können.
Benjamin erlaubte sich, Adorno von der Realisierung dieses Projekts, einem von Mark Twains Tom Sawyer abgeleiteten Singspiel, abzuraten. Darauf folgte ein Exkurs auf Cocteau, gegen dessen Enfants terribles sich Adornos Text harmlos und, so Benjamin, RUSTIKAL ausmache.
Sie werden mir glauben, daß ich Dinge von großer Schönheit in dem Spiel nicht übersehe. So vor allem die Höhlenwanderung. Aber es ist die Reduktion aufs Idyllische, wie ebensowohl die Songs als der Ablauf der Handlung sie zum Ausdruck bringen, die mit den Gehalten, um die es Ihnen geht, meiner Ansicht nach, unverträglich ist.
Rolf Tiedemann: Erst im Frühjahr 1934, noch mit der Komposition des Singspiels befaßt, begab Adorno sich zunächst nach London, dann nach Oxford. Seiner eigenen Erklärung zufolge hat Benjamins Kritik am Textbuch ihn veranlaßt, die Komposition abzubrechen. (…) Endlich jedoch gab es subjektive nicht weniger als objektive Gründe, die den Künstler zwangen, auf die theoretische Arbeit sich zu konzentrieren; subjektive: die Nötigung, im Exil das Überleben zu sichern; objektive: im philosophischen und soziologischen Bereich, die er sowohl besser beherrschte, wie sie die wirkungsvolleren waren, für die zu sprechen, die er im Haus des Grauens hatte zurücklassen müssen.
Schon irre, denkt Thomas, Tiedemann in ergebener Stimmenimitation Adornos.
Fußnote: Was der Schatz des Indianer-Joe am Amerika des mittleren 19. Jahrhunderts demonstriert, hatte zuvor Benjamin an Paris als der Hauptstadt des 19. Jahrhunderts entdeckt: die rasch veraltende Welt der Väter und Großväter als eine Gestalt der Urgeschichte. (…) Am Ende war es die nahe Verwandtschaft des mit dem Passagenwerk wie im Schatz des Indianer-Joe Intendierten, welche Benjamin hinderte, im Text des Freundes wiederzufinden, worin dieser ihm nur zu folgen versuchte.
gibt. Die von Ihnen angebrachte Tafel mag daran erinnern.
THOMAS MEINECKE, Leseexemplar ODENWALD
Abbildung: Sammlung Marita Tretter
Thomas Meinecke erhielt den Berliner Literaturpreis 2020
Link mit Anmerkungen zur Verleihung
Von Thomas Meinecke über Adorno nach Amorbach