Miltenberg oder Wildenberg

Gerd Layer

Mit belegten Gegebenheiten nahm es Goethe in seinen historischen Dramen nicht immer so genau, ließ vielmehr dichterische Freiheit walten. So im „Götz von Berlichingen“, wo er den „Ritter mit der eisernen Hand“ 1525 in Gefangenschaft sterben lässt (er starb aber erst 1562 auf Burg Hornberg bei Neckarzimmern) und Kaiser Maximilian mit den Geschehnissen um den Bauernkrieg in Zusammenhang bringt – obwohl dieser bereits 1519 verschied. Hinzu kommt in diesem wichtigen Werk der „Sturm-und-Drang-Epoche“ noch ein Irrtum lokaler Art, der die Region betrifft: Der 5. Akt nimmt seinen Auftakt mit dem Aufruhr des „gemeinen Mannes“ und beleuchtet Götzens Zeit als Hauptmann der aufständischen Bauern. Diese Episode endet, als die „Mordbrenner“ wider seinen Willen Miltenberg „verbrennen“ und er nach einem handgreiflichen Disput mit den verantwortlichen Bauernführern auf der Flucht von Truppen des „Schwäbischen Bundes“ gefangen genommen wird.

Miltenberg aber brannte nicht. „Hier irrte Goethe“ – das wird besonders hier in der Region schon Schülern beigebracht. Denn Kloster Amorbach wurde geplündert und die nahe Burg Wildenberg von Bauernhaufen überfallen und in Brand gesetzt.
Dem jungen Goethe diente die „Lebensbeschreibung des Ritters Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand“ als Quelle, und in dieser sah der Rückblick haltende Ritter „Schloss Willenberg“ brennen. Nach der Zerstörung versank die Ruine im hinteren Odenwald „für fast dreihundert Jahre in der Geschichtslosigkeit“. Goethe dürfte sie also nicht gekannt haben – Miltenberg aber schon.

Für den Fortgang von Goethes Drama spielt der Brandort keine wesentliche Rolle. Viele Leser aber hielten (und halten) Götzens Kunde („ich sehe Miltenberg brennen“) genauso für verbürgt wie die Existenz des streitbaren Ritters. Und die Zerstörung von Burg Wildenberg fand so keinen „Eingang in die Weltliteratur“.
Auch Adorno wusste vom Bauernkrieg 1525 durch die „Lebensbeschreibung…“, die er als Reclambändchen im Bücherautomaten des Miltenberger Bahnhofs gezogen hatte. „Miltenberg brennt“ zitiert er hierzu, und es stellt sich die Frage, ob in seiner Ausgabe „Schloss Willenberg“ schon durch Goethes Version ersetzt wurde oder ob er mit der Lebensbeschreibung Goethes Drama meint.

Quelle: Keller, Walter: Die Wildenburg – von Goethe um den „Götz“ gebracht. In: Der Odenwald. Zeitschrift des Breuberg-Bundes, Sonderheft 2, Zur Geschichte der Burg Wildenberg, Breuberg-Neustadt 1979.
Theodor W. Adorno: Ohne Leitbild-Parva Aesthetica- AMORBACH; S. 25-26

Text: Gerd Layer
Abbildung: Sammlung Kurz, Amorbach / Deuchert Verlag