Ansprache nach der Enthüllung der Plakette am 7.10.2023
Theodor W. Adorno hatte glückliche Kindheitserinnerungen an Amorbach.
Er war der Cousin meines Großvaters Franz Calvelli-Adorno. Sie waren beide Einzelkinder und sind als
Kinder und Jugendliche viel zusammen gewesen.
Es gibt ein schönes Buch im Inselverlag von Reinhard Pabst, das Theodors Kindheitserinnerungen
an Amorbach beschreibt.
Theodor lebte mit seinen Eltern und seiner Tante in Frankfurt, wo sein Vater Oskar Wiesengrund eine
Weinhandlung hatte. Er verbrachte mit seiner Familie viele Ferien in Amorbach.
Er hatte eine behütete Kindheit als geliebtes Kind seiner Eltern, es wurde viel Musik gemacht und gelesen und erzählt.
Es gab eine große Liebe zur Natur und zu Tieren.
Theodor und mein Großvater haben viel zusammen musiziert, auch er wuchs in einem liebevollen Elternhaus auf.
Nach der Machtergreifung Hitlers im Januar 1933 bekamen beide wegen ihrer jüdischen Elternteile ein
Berufsverbot. Theodor war dabei, eine akademische Kariere an der Frankfurter Universität aufzubauen.
Mein Großvater war junger Richter mit 3 kleinen Kindern.
Theodor emigrierte sofort über England in die USA. Mein Großvater versuchte die EmigraXon für seine
Familie zu organisieren. So kamen 2 seiner Kinder, meine Mutter und mein Onkel 1939 mit einem
Kindertransport nach England. Dadurch wurden sie für mehr als 8 Jahre von ihren Eltern getrennt.
Die Eltern von Theodor wurden von den Nazis aus ihrer Heimatstadt vertrieben und mussten mit über 60
Jahren über Kuba nach USA emigrieren. Beide waren ihrer Heimat, und dazu zählt auch Amorbach sehr
verbunden und li-en sehr unter dem Leben in den fremden Ländern. Sie hatten nie vor, ihre Heimat zu
verlassen und sind nie wieder hierher zurückgekehrt.
Die glückliche und geborgene Kindheit hat sicher dazu beigetragen eine Resilienz zu entwickeln, die sowohl
Theodor als auch meinem Großvater in der Zeit der Nationalsozialisten geholfen hat. Diese dunkle Zeit hat
ihn und seine Familie geprägt und seine spätere Arbeit als Philosoph und Sozialkritiker beeinflusst. Beide
haben sich nach dem Krieg dazu entschlossen, am Aufbau der jungen Bundesrepublik mitzuwirken, genau
wie meine Mutter, die 1955 nach Deutschland zurückkehrte.
Jedes Kind verdient eine gute und sichere Kindheit. In unserer Welt ist dies leider nicht die Realität. Kinder
erleben auch heute Kriege und Konflikte, die ihre Kindheit zerstören, auch in unserer Nähe, wo ein Krieg
stattfindet, den wir alle nicht für möglich gehalten haben.
Kinder werden wieder Opfer von Diskriminierung und Verfolgung.
Es ist unsere Aufgabe, dazu beizutragen, dass Kinder in einer Welt aufwachsen, die ihnen Geborgenheit
gibt. Die von Ihnen angebrachte Tafel mag daran erinnern.
Franziska Reinhuber, Ansprache nach der Enthüllung der Plakette am 7.10.2023