EXPERTENRUNDE
Dr. Stefan Volk: „Zwischen Offenbarung und Lehre. Benjamins Zeichenbegriff mit einem Ausblick auf Adorno.“
In dem Vortrag geht es um Walter Benjamins Aufsätze „Über Sprache überhaupt und über die Sprache des Menschen“ und „Die Aufgabe des Übersetzers“, bei Adorno um die „Ästhetische Theorie“ mit einem Exkurs zur Bildenden Kunst.
Dr. Stefan Volk, Jahrgang 1969, studierte Philosophie, Soziologie und Germanistik in Würzburg und Tübingen und arbeitet als Geschäftsführer in der Gesundheitsbranche.
Amorbach, den 13. Juli 2025
ZWISCHEN OFFENBARUNG UND LEERE. WALTER BENJAMINS ZEICHENBEGRIFF MIT EINEM AUSBLICK AUF THEODOR W. ADORNO
Einleitung: Walter Benjamin und Theodor W. Adorno. Ihre Denkansätze im Lichte des Zeichenbegriffs
Zusammenfassung
Adornos Übernahme und Weiterentwicklung
Adorno grenzt sich von der Semiotik ab und sieht insbesondere in der Kunst einen Bereich, in dem Wahrheit als Nicht-Identisches erscheint, das sich Zeichen und Begriffen entzieht. Er beschreibt Erfahrungen erfüllter Zeit, aber auch die Erfahrung von Endlichkeit und Vergeblichkeit angesichts der „schlechten Unendlichkeit“ der Zeit. Adorno mißtraut dem Schein des Schönen, hält allerdings an der Idee der Erlösung als ethischer Projektion fest. Die Theologie bleibt negativ und kritisch, kann aber als Korrektiv wirken. Adorno verbindet die bei Benjamin schroff getrennten Gegensätze vorsichtig miteinander.
- Philosophie des Zeichens – Historischer Überblick
Ihr Text zeichnet nach, wie das Zeichen (im philosophischen Sinn) erst im 20. Jahrhundert durch Strömungen wie den Pragmatismus (Peirce) und den Strukturalismus ins Zentrum philosophischer Debatten gerückt ist. Davor galt das Zeichen meist als defizitärer Modus des Begriffs, also als bloßer Hinweis auf etwas Abwesendes (z. B. das Symptom als Zeichen der Krankheit). Bereits in der Antike und im Mittelalter gab es jedoch differenzierte Diskussionen, etwa bei Sextus Empiricus oder Augustinus, die bis heute grundlegende Definitionen des Zeichens lieferten. Die moderne Wissenschaft (Szientismus) hat den Zeichenbegriff zwar wiederbelebt, aber auch in eine gewisse Beliebigkeit geführt. - Systematische Überlegungen
Sie stellen das Zeichen als Unterscheidung von Bezeichnendem und Bezeichnetem vor. Die Semiotik untersucht diese Unterscheidung systematisch und macht das Zeichen selbst zum Untersuchungsgegenstand. Jenseits des funktionalen Zeichenverständnisses gibt es Grenzphänomene: das reine Bezeichnete (Offenbarung) und das reine Bezeichnende (Leere, Gesetz), die als transzendentale Grenzzeichen beschrieben werden. Diese sind ästhetisch erfahrbar, aber entziehen sich der kognitiven Erfassung. - Walter Benjamins Zeichenbegriff
Benjamin rückt die Sprache ins Zentrum, wobei das Zeichen als allgemeinerer Begriff fungiert.
Sprache ist nicht nur Mitteilung, sondern auch Symbol des Nicht-Mitteilbaren. Der Mensch bleibt von der Wahrheit der Dinge ausgeschlossen; durch Zeichengebrauch versucht er, sich die Welt zu erschließen, bleibt aber immer im Zwischenreich zwischen Schöpfung und Erlösung. Benjamins Begriffe „Spur“ und „Aura“ illustrieren zwei unterschiedliche Weisen, wie das Zeichen auf Nähe und Ferne verweist. Die Halachah (das unausgesprochene Gesetz) steht für das reine Zeichen, das Messianische für das erfüllte Zeichen. Benjamins Zeichenbegriff integriert Mitteilung und Magie. - Adornos Übernahme und Weiterentwicklung
Adorno grenzt sich von der Semiotik ab und sieht insbesondere in der Kunst einen Bereich, in dem
Wahrheit als Nicht-Identisches erscheint, das sich Zeichen und Begriffen entzieht. Er beschreibt
Erfahrungen erfüllter Zeit, aber auch die Erfahrung von Endlichkeit und Vergeblichkeit angesichts der
„schlechten Unendlichkeit“ der Zeit. Adorno mißtraut dem Schein des Schönen, hält allerdings an
der Idee der Erlösung als ethischer Projektion fest. Die Theologie bleibt negativ und kritisch, kann
aber als Korrektiv wirken. Adorno verbindet die bei Benjamin schroff getrennten Gegensätze
vorsichtig miteinander.
Thesenpapier
ZWISCHEN OFFENBARUNG UND LEERE. WALTER BENJAMINS ZEICHENBEGRIFF MIT EINEM AUSBLICK AUF THE
ODOR W. ADORNO
Einleitung – Walter Benjamin und Theodor W. Adorno. Ihre Denkansätze im Lichte des Zeichenbegriffs
Theodor W. Adorno und Walter Benjamin lernten sich im Jahr 1923 in Frankfurt am Main kennen.
Walter Benjamin war elf Jahre älter. Er hielt sich dort zum Habilitieren im Fach Germanistik auf, während der zwanzigjährige Adorno noch ein junger, hochbegabter Student war. Benjamins Freund Gershom Scholem wanderte zu der Zeit gerade nach Palästina aus. Siegfried Kracauer, Adornos Mentor, könnte das erste Treffen arrangiert haben. Daraus entwickelte sich ein intellektueller Austausch, der bis zum Tode Walter Benjamins nicht abriß, was der z.T. erhaltene Briefwechsel zwischen beiden
eindrucksvoll dokumentiert. Eine persönliche Note bekam die Beziehung noch durch Adornos Ehefrau Gretel, die mit Walter Benjamin eng verbunden war und zwischen Adorno und Benjamin gelegentlich vermittelte. Adorno sah sich anfangs auf Grund seines Alters eher als der Nehmende als der Gebende. Später versuchte er durch Kritik Benjamins Arbeiten zu begleiten und anzuleiten. Nach Benjamins Tod 1940 setzte sich Adorno dafür ein, daß Benjamins Schriften zugänglich wurden. Ohne
sein Tun wäre er vielleicht heute ein vergessener Autor. Zugleich prägte er das Benjamin-Bild der Nachkriegszeit mit, in dem Benjamin als eine Art Vorläufer seines Denkens wiederzuerkennen war, das er weiterentwickelte. „Adornos Philosophie des Nicht-Identischen, die sich in der Begegnung mit Benjamin geformt hatte, bildete im Rückblick den Schlüssel zur Gedankenwelt Benjamins.“ (1)
Adorno war es auch, der die Gegensätze in Benjamins Denken dialektisierte und dadurch bestimmte Zusammenhänge sichtbar machte. Jedenfalls ist der Einfluß Benjamins auf Adornos Denken unbestritten groß gewesen. Aber die Rezeption Benjamins ging noch weit über die Frankfurter Schule hinaus.
Anders als Adorno, der außerhalb seiner Schule nur wenig Resonanz fand, werden Walter Benjamins Schriften heute international diskutiert, auch wenn Benjamin zeit seines Lebens ein akademischer Außenseiter blieb, während Adorno schon sehr früh institutionelle Macht besaß, die dazu führte, sich abzugrenzen. Beide teilten das Schicksal der Emigration. Benjamin überlebte sie nicht, Adorno fand auch in den USA mit Max Horkheimers Hilfe Arbeitsmöglichkeiten vor. Benjamins Philosophie
hatte „etwas völlig Inkommensurables“, wie Adorno selbst feststellte. (2)
Das Fragmentarisch an ihr blieb offen für vielfältige Deutungen. Das schadete ihm zu Lebzeiten, bewirkte aber sein Weiterleben im akademischen Diskurs.
Mein Zugang zu Adorno und Benjamin soll der Zeichenbegriff sein. Ich möchte im folgenden versuchen, beide Philosophen aus einer semiotischen Perspektive kenntlich zu machen, obwohl die Semiotik bei ihnen keine Rolle spielte, im Gegenteil, man grenzte sich von ihr ab, da die signifikative, kommunikative und rationale Funktion von Sprache und Zeichen weder den Dingen in ihrer Unmittelbarkeit gerecht wird, noch dem Subjekt in seinen Ausdrucksmöglichkeiten, was aber die Aufgabe
von Kunst und Philosophie ist. Dadurch wurde aber zugleich das Potential einer Semiotik unter schätzt, die nach Adornos Tod durch französischen und amerikanischen Einfluß immer stärker in das Zentrum der Diskussion rückte.
Bei der Gelegenheit wurden auch historische Quellen wiederbelebt, mit denen ich mich im ersten Teil des Vortrags beschäftigen möchte, im zweiten Teil will ich …
weiterlesen:
Fußnoten
1 Thomas Küpper und Timo Skrandies: Rezeptionsgeschichte. In: Burkhard Lindner (Hrsg.): Benjamin Handbuch. Leben –
Werk – Wirkung. Stuttgart: Metzler 2006. S. 17-58. S. 23.
2 Über Walter Benjamin. Mit Beiträgen von Theodor W. Adorno, Ernst Bloch, Max Rychner, Gershom Scholem, Jean Selz,
Hans Heinz Holz, Ernst Fischer: Frankfurt am Main: Suhrkamp 1968. S. 14.
Stefan Volk, Amorbach, den 13. Juli 2025, Expertenrunde, adorno 2
ZWISCHEN OFFENBARUNG UND LEERE. WALTER BENJAMINS ZEICHENBEGRIFF MIT EINEM AUSBLICK AUF THEODOR W. ADORNO
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